Artikel 25 VK: Erteilung eines Visums mit räumlich beschränkter Gültigkeit: VG Berlin, 17.01.2019 – 3 K 902.17; Deutsche Botschaft Manila
Ich freue mich sehr, dass dieses Urteil ergangen ist und (!) rechtskräftig wurde. Soweit für mich ersichtlich ist es in diesem Fall erstmals gelungen, dass das Verwaltungsgericht Berlin ein Visum erteilt hat aufgrund Artikel 25 VK. Ich bin durchaus stolz, dass ich diesen Fall in allen Instanzen vertreten erfolgreich vertreten durfte. Das Auswärtige Amt war nicht (unerwartet) nicht einverstanden und ging in die zweite Instanz. Auch am Oberverwaltungsgericht für das Land Berlin OVG 2 N 32/19 hatten wir Erfolg. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Berlin, die hier veröffentlicht ist, ist rechtskräftig. Hier die wesentlichen Gründe:
“Die Klägerinnen haben Anspruch auf Erteilung eines Visums mit beschränkter Gültigkeit nur für das deutsche Hoheitsgebiet gemäß Art. 25 VK. Die Erteilung eines derartigen Besuchsvisums ist im Antrag auf Erteilung eines Schengen-Visums als Minus mit enthalten (BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2011 —1 C 1/10, juris Rn. 27).
Nach Art. 25 Abs. 1 VK wird ein Visum mit räumlich beschränkter Gültigkeit in bestimmten Ausnahmefällen erteilt, beispielsweise wenn der betreffende Mitgliedstaat es aus humanitären Gründen für erforderlich hält, von dem Grundsatz abzuweichen, dass die in Art. 6 Abs. 1 Buchst. a, c, d und e SGK festgelegten Einreisevoraussetzungen erfüllt sein müssen (Art. 25 Abs. 1 Buchst a, i VK). Danach steht das Vorliegen begründeter Zweifel an der Rückkehrabsicht der Erteilung eines Visums mit räumlich beschränkter Gültigkeit nicht entgegen, wenn es der betreffende Mitgliedstaat etwa wegen besonderer familiärer Bindungen für erforderlich hält, vom Vorliegen der Einreisevoraussetzungen, wozu auch die Verhinderung illegaler Einwanderungen zählt, abzuweichen. Hierbei können familiäre Bindungen des Antragstellers an berechtigterweise im Bundesgebiet lebende Familienangehörige sowohl aus humanitären Gründen als auch auf Grund internationaler Verpflichtungen berücksichtigt werden. Ausgehend von dem” öffentlichen Interesse an der Verhinderung einer ungesteuerten Einwanderung setzt die Erteilung eines beschränkten Visums auf der Tatbestandsseite aber voraus, dass auch mit Blick auf den gesonderten Schutz familiärer Beziehungen nach Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7 GR-Charta die Erteilung eines Besuchsvisums ausnahmsweise trotz der vom Antragsteller ausgehenden Gefahr für die öffentliche Ordnung erforderlich ist (BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2011 — 1 C 1/10, juris Rn. 30). Hierzu bedarf es grundsätzlich einer einzelfallbezogenen Abwägung der betroffenen familiären Belange mit gegenläufigen öffentlichen Interessen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Ober-maßverbotes (BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2011 1 C 1/10, Rn. 31). Insoweit unterliegt die Entscheidung der Beklagten der vollen gerichtlichen Überprüfung (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Oktober 2015— OVG 3 B 5.14, juris Rn. 30).
Art. 6 GG begründet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts indes nicht in jedem Fall unmittelbar einen Anspruch auf Aufenthalt oder Nachzug. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, die im Einzelfall zu ermitteln ist (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 —2 BAR 1001/04, juris Rn. 17 f.) Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 — 2 BvIR 1001/04, Leitsatz 5a.). Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen. Es ist auch in Rechnung zi.i stellen, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch die Betreuung des Kindes durch die Mutter entbehrlich wird (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 — 2 BvR 1001/04, juris Rn. 17 f.). Im Einzelfall ist zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zum getrennt lebenden Elternteil und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in aller Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dient und das Kind beide Eltern braucht (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 —2 BAR 1001/04, juris Leitsatz 5b.). Für die Bejahung des Vorliegens einer familiären (Lebens-)Gemeinschaft sprechen regelmäßige Kontakte des getrennt lebenden Elternteils mit seinem Kind, die die Übernahme elterlicher Erziehungs- und Betreuungsverantwortung zum Ausdruck bringen, sowie eine emotionale Verbundenheit. Die familiäre (Lebens-)Gemeinschaft zwischen einem Elternteil und seinem minderjährigen Kind ist getragen von tatsächlicher Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 — 2 ByR 1001/04, juris Rn. 28).
Ein solcher Ausnahmefall, in dem die Erteilung eines Visums mit räumlich beschränkter Gültigkeit mit Blick auf den durch Art. 8 EMRK, Art. 6 GG gewährten Schutz der Familie geboten ist, liegt hier vor. Im Rahmen einer einzelfallbezogenen Betrachtung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes überwiegen die betroffenen familiären Belange gegenüber den von der Beklagten festgestellten Zweifeln an der Rückkehrbereitschaft.
Die Beziehung zwischen der Klägerin zu 1) und ihrem Vater fällt in den Schutzbereich des Art. 6 GG. Nach Art. 6 GG stehen Ehe und Familie ünter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Der Begriff der Familie ist als umfassende Gemeinschaft zwischen Eltern und Kinder zu verstehen und umfasst auch die hier vorliegende Konstellation des leiblichen, aber nicht rechtlichen Vaters (BVerfG, Urteil vom 24. November 2016 — 5 C 57/15, juris Rn. 20).
Gemessen an den obengenannten Maßstäben liegt nach der Überzeugung des Gerichts eine gelebte familiäre Lebensgemeinschaft zwischen den Klägerinnen und dem Vater der Klägerin zu 1) vor. Nach dem glaubhaften Vortrag der Klägerinnen verbringt der im Bundesgebiet berufstätige Vater der Klägerin zu 1) seit deren Geburts einen vollständigen Urlaub und Überstundenabbau bei den Klägerinnen auf den Philippinen und lebt dort mit ihnen als Familie zusammen. Er bringt seine Tochter während seiner Anwesenheit auf den Philippinen täglich zur Schule und hält während seiner Abwesenheit regelmäßig über Internet und Telefon mit ihr Kontakt. pas Gericht ist nach dem Vortrag der Klägerinnen, der informatorischen Anhörung des Vaters und der vorgelegten Fotos überzeugt, dass die Klägerin zu 1) ihren leiblichen Vater als Vater anerkennt und beide eine intensive Vater-Tochter-Beziehung pflegen, die von einer gegenseitigen engen emotionalen Bindung getragen ist.
Die Ablehnung eines Besuchsvisums der Klägerin zu 1) hätte zur Folge, dass die persönlichen Begegnungsmöglichkeiten auf die Besuchszeit des Vaters beschränkt wären und die Klägerin zu 1) dare den Großteil des Jahres keinen persönlichen Kontakt zu ihrem Vater haben könnte. Dies entspräche nicht dem Kindeswohl. Hierbei-ist neben der tatsächlich gelebten familiären Lebensgemeinschaft maßgeblich zu berücksichtigen, dass es sich bei der Klägerin zu 1) um ein Kleinkind handelt (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 —2 ByR 1001/04, juris Rn. 37). Die in der Kleinkindzeit gelebten Beziehungen mit einem Elternteil sind für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes und die dauerhafte Bindung zu seinen Eltern prägend und können nicht nachgeholt werden. Kleinkindern ist es zudem nicht möglich, die Gründe für eine monatelange Trennung von einem ihnen nahe stehenden Elternteil zu verstehen. Dem Kindeswohl ist daher entgegen der Ansicht der Beklagten nicht bereits durch den jährlich etwa dreimonatigen Aufenthalt des Vaters der Klägerin 1) auf den Philippinen ausreichend Rechnung getragen. Auf Grund ihres Alters kann die Klägerin zu 1) auch nicht darauf verwiesen werden, den Kontakt auf andere Weise (zum Beispiel über das Internet, Briefe und Telefonate) aufrechtzuerhalten (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 —2 BvIR 1001/04, juris Rn.37). Ebenso wenig kann ihr entgegengehalten werden, dass es ihrem Vater frei stünde, das Bundesgebiet dauerhaft zu verlassen, um mit seiner Familie auf den Philippinen zusammenzuleben. Denn eine solche Entscheidung liegt nicht in der Hand der Klägerin zu 1): Solange ihr Vater in Deutschland wohnt und arbeitet, ist sie für einen persönlichen Kontakt, der über die Besuchszeit ihres Vaters auf den Philippinen hinausgeht, darauf angewiesen, ihn zu besuchen.
Dem steht — anders als die Beklagte meint — auch nicht entgegen, dass die Klägerin zu 1) möglicherweise bald die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben könnte und ab diesem Zeitpunkt für ihre Einreise nach Deutschland kein Visum mehr benötigen würde, vgl. § 1 AufenthG. Als einziges Land der Erde kennen die Philippinen keine Scheidung, eine Auflösung der Ehe ist hier nur durch eiri Eheannullierungsverfahren möglich (vgl. u.a. https://www.handelsblatt.com/politik/international/suedostasien-philippinisches-parlament-stimmt-fuer-ende-des-scheidungsverbots/21089872.html?ticket=ST-282538-CCjqgiUaRx71SCOXvHEe-ap3, zuletzt abgerufen am 17. Januar 2019). Ob und wann die Ehe der Klägerin zu 2) aufgelöst werden kann, ist unklar. Im für die Klägerinnen ungünstigsten Fall käme es nie zu einer Auflösung der Ehe, so dass die Klägerin zu 1) bei Fortbestehen der Zweifel der Botschaft Manila an ihrer Rückkehrabsicht auch zukünftig ihren Vater in Deutschland nicht besuchen könnte. Dem aktuellen Bedürfnis der Klägerin zu 1) nach regelmäßigerem Kontakt mit ihrem Vater vermag der Verweis auf die derzeit ungewisse Möglichkeit des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit daher nicht weiterzuhelfen. Jedes weitere Zuwarten ist der Klägerin zu 1) auf Grund ihres Alters auch nicht zumutbar.
Die Gewährleistungen aus Art. 6 GG bedingen im vorliegenden Fall eine Ermessensreduktion auf null. Die Klägerin zu 1) hat demnach einen Rechtsanspruch auf Erteilung des Visums. Da es der Klägerin zu 1) als Kleinkind nicht zuzumuten ist, die Reise nach Deutschland ohne ihre Mutter als maßgebliche Bezugsperson anzutreten und ihr Anspruch ohne die Möglichkeit der Begleitung durch ihre Mutter im Ergebnis vereitelt würde, ist auch der Klägerin zu 2) ein Visum zu erteilen.