Prüfungsanfechtung: Höherbewertung oder Wiederholungsprüfung?
Wer eine Prüfung angreift, möchte am liebsten, dass die Prüfung höher bewertet wird. Der Prüfling will sich möglichst nicht noch einmal der Prüfungssituation unterziehen und zur Wiederholungsprüfung antreten. Wann dies möglich ist, klärt dieser Beitrag.
1. Was bedeutet Höherbewertung bei einer Prüfungsanfechtung?
2 Was bedeutet Wiederholungsprüfung bei einer Prüfungsanfechtung?
3. Höherbewertung bei Bewertungsfehlern
4. Wiederholungsprüfung bei formalen Fehlern. Achtung: formale Fehler unverzüglich rügen!
5. Wie kann ich eine Höherbewertung/Wiederholungsprüfung auf dem Rechtsweg erstreiten?
1. Was bedeutet Höherbewertung bei einer Prüfungsanfechtung?
Höherbewertung bedeutet im Bereich der Prüfungsanfechtung, dass die Prüfungsleistung neu bewertet wird. Die Neubewertung muss nicht zwangsläufig zu einer Höherbewertung führen. Es ist auch denkbar, dass eine Neubewertung vorgenommen wird, diese aber zu derselben Bewertung führt. Ziel und einzig von Interesse für den Prüfling ist, dass die Neubewertung zu einer Höherbewertung führt.
2. Was bedeutet Wiederholungsprüfung bei einer Prüfungsanfechtung?
Wiederholungsprüfung im Bereich der Prüfungsanfechtung bedeutet, dass eine einmal gewertete Prüfung (z.B. eine mündliche Prüfung) wiederholt wird. Die bereits erfolgte Bewertung der angefochtenen Prüfung wird ersatzlos aufgehoben. Es zählt dann später nur das Ergebnis der späteren Wiederholungsprüfung.
Die Wiederholungsprüfung kann von denselben Prüfern wie die Ausgangsprüfung abgenommen werden, aber auch durch andere Prüfer. Der Prüfling hat zumeist ein Interesse, dass ihn andere Prüfer in der Wiederholungsprüfung prüfen. Dies kann nur in bestimmten Fallkonstellationen (z.B. Befangenheit eines Prüfers) – notfalls gerichtlich – erzwungen werden. In anderen Fällen muss der Prüfling hinnehmen, dass er von demselben Prüfer erneut geprüft wird.
3. Höherbewertung bei Bewertungsfehlern
Bei Bewertungsfehlern kommt es zur Neubewertung, die bei Erfolg zur Höherbewertung führt. Bewertungsfehler meint, dass der Prüfer Richtiges als falsch oder Vertretbares als falsch bewertet hat. Im Prüfungsprozess muss der Prüfling den Bewertungsfehler darlegen. Dazu verlangen die Gerichte, dass der Prüfling aus einem Fachbuch einen Beleg beifügt, aus dem sich ergibt, dass die Lösung, die er geschrieben hat, richtig oder zumindest vertretbar ist.
Im Zweifelsfall muss ein Sachverständigengutachten entscheiden. Denn den Richtern am Verwaltungsgericht fehlt die Sachkunde zur Bewertung von Fachfragen in allen Fachgieten außer ihrem eigenen, der Rechtswissenschaft.
Daneben gibt es eine “Grauzone” der Neubewertung, die nur im Widerspruchsverfahren, nicht aber vor Gericht erstritten werden kann: Die Bewertung durch den Prüfer ist teilweise durch die Gerichte nicht überprüfbar (gerichtsfreier Beurteilungsspielraum). Ein Prüfer kann aber dieselbe Leistung unter Umständen mit der Note 2 oder 3 bewerten, ohne dass die Note 2 oder 3 rechtswidrig wäre. So kann im Überdenkungsverfahren an die Prüfer appelliert werden, die Note anzuheben, obwohl kein klassischer Bewertungsfehler vorliegt (deswegen nenne ich diesen Bereich einmal untechnisch “Grauzone”). Beispiele wären, dass geltend gemacht wird, dass
- die Aufgabenstellung verhältnismäßig schwer war
- der Prüfer bei seiner Bewertung einen anderen Schwerpunkt als der Prüfling gesetzt hat
- ein Fehler sehr streng mit Punktabzug gewertet worden ist
- …
Fragen Sie nach, ob sich ihr Fall dafür eignet.
4. Wiederholungsprüfung bei formalen Fehlern. Achtung: formale Fehler unverzüglich rügen!
Die Wiederholungsprüfung bekommt der Prüfling bei der Prüfungsanfechtung immer dann, wenn ein formaler Fehler vorliegt. Beispiel: Der Prüfling wurde durch Lärm einer Baustelle bei der Klausur gestört. Dieser Prüfling kann als Ausgleich für den Lärm nur eine Wiederholungsprüfung erstreiten. Es ist klar, dass ihm nicht einfach einen bessere Note als Ausgleich für den Lärm gegeben werden kann, denn niemand weiß, welche Leistung er ohne den Lärm in dieser Prüfung erbracht hätte.
- ein Prüfer hatte nachweisbar das Prüfungsprotokoll um mehrere Wochen rückdatiert – das Protokoll war deswegen wertlos, sodass die Prüfung wiederholt werden durfte
- ein Prüfling musste für eine Musikprüfung den Prüfungsraum herrichten, geriet dadurch ins Schwitzen, weil er viele Stühle umstellen musste. Er absolvierte eine Prüfung an einem Blasinstrument, wofür ausgeglichene Atmung erforderlich ist. Außer Atem, spielte der Prüfling schlechter als sonst: auch er konnte die Prüfung wiederholen
- in einem anderen Fall beleidigten die Prüfer den Prüfling, er würde nur dummes Zeug reden. Auch hier konnten die Prüfungen wiederholt werden
- in einem anderen Fall gestattet die Uni in langjäriger Praxis, dass Klausuren gegen Vorlage eines ärztlichen Attestes wiederholt werden konnte. Die Uni änderte diese Praxis ohne vorherige Ankündigung, wollte die Wiederholung nicht gestatten. Alle Mandanten, die ich vertrat, hatten Erfolg mit der Prüfungsanfechtung, denn die Studenten durften wegen der langjährigen Praxis darauf vertrauen, dass die Attestvorlage ausreichend ist
- die Prüfungsbehörde gewährt zu wenig Prüfungszeit
- der Prüfling wird in der Prüfung gestört durch Lärm
- die Aufgabenstellung wird während der Prüfung geändert
- ein Prüfling bekommt weniger Redezeit als seine Mitprüflinge
- die Prüfling macht krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit (Rücktritt von der Prüfung) geltend
- …
Achtung: Formale Fehler müssen unverzüglich gerügt werden. Mein Tip: Schnellstmöglich nach Bekanntwerden den formalen Fehler rügen oder einen Anwalt dazu befragen. Wer den formalen Fehler nicht unverzüglich rügt, kann seinen ganzen Prozess deswegen verlieren. Allerdings muss immer geprüft werden, ob die Universität oder Hochschule auf diese Rügepflicht auch für jeden Prüfung erkennbar hingewiesen hat. Dies ist nach meinem Erleben in aller Regel nicht der Fall, im Gegenteil: Die Hochschulen versenden Bescheide, an deren Ende steht, man könne binnen eines Monats Widerspruch einlegen. Dies suggeriert dem Prüfling, dass er noch einen Monat Zeit habe. Dieselben Hochschulen wenden dann bei Vorbringen formaler Fehler ein, diese seien zu spät geltend gemacht. Nach meiner Erfahrung sind die Gerichte studentenfreundlich, wenn der Nachweis gefordert wird, dass die Hochschule auf die unverzügliche Rügepflicht hätte hinweisen müssen. Dennoch muss die Empfehlung lauten, die Rüge schnellstmöglich zu erheben, damit die Prüfungsanfechtung nicht unnötig erschwert wird.
5. Wie kann ich eine Höherbewertung/Wiederholungsprüfung auf dem Rechtsweg erstreiten?
Gegenvorstellung, Befangenheitsantrag, Widerspruch, Einstweilige Anordnung und Klage sind die Rechtsschutzmöglichkeiten bei der Prüfungsanfechtung.
Mit der Gegenvorstellung kann jederzeit jede Einwendung geltend gemacht werden. Sie kann ggf. später mit den anderen Rechtsbehelfen aufgegriffen oder weiter vertieft werden.
Mit dem Befangenheitsantrag (§ 21 VwVfG) wird geltend gemacht, dass der Prüfer voreingenommen ist und aus dem Prüfungsverfahren auszuschließen ist. Dieser Antrag kann isoliert oder im Zusammenhang mit den anderen Rechtsbehelfen gestellt werden. Befangenheitsanträge sollten möglichst zeitnah zum Bekanntwerden der Befangenheitsgründe gestellt werden.
Der Widerspruch ist der formale außergerichtliche Rechtsbehelf, der unbedingt eingelegt werden muss.
Mit der einstweiligen Anordnung kann der Prüfung schnellen Rechtsschutz erlangen. Sie ist nur in bestimmten Fallkonstellationen möglich.
Mit der Klage wird das Widerspruchsverfahren gerichtlich fortgesetzt.
Die richtige Auswahl des zu wählenden Rechtsbehelfe ist gründlich zu prüfen.
Wenn Sie Interesse haben, setzen Sie sich gern mit mir in Verbindung (tarneden@tarneden.de).